Wirtschaftsnobelpreis 1974: Friedrich August von Hayek — Gunnar Myrdal

Wirtschaftsnobelpreis 1974: Friedrich August von Hayek — Gunnar Myrdal
Wirtschaftsnobelpreis 1974: Friedrich August von Hayek — Gunnar Myrdal
 
Der Brite und der Schwede erhielten den Nobelpreis für ihre Arbeiten auf dem Gebiet der Geld- und Konjunkturtheorie sowie für ihre Analysen der wechselseitigen Abhängigkeit von wirtschaftlichen, sozialen und institutionellen Verhältnissen.
 
 Biografien
 
Friedrich August von Hayek, * Wien 8. 5. 1899, ✝ Freiburg im Breisgau 23. 3. 1992; 1927-29 Direktor des Österreichischen Konjunkturforschungsinstituts, 1931-67 Professuren in London, Chicago und Freiburg im Breisgau, ab 1969 Ehrenprofessur der Universität Salzburg.
 
Gunnar Myrdal, * Gustafs 6. 12. 1898, ✝ Stockholm 18. 5. 1987; 1942 Vorsitz der staatlichen Plankommission für die Nachkriegszeit, 1945-47 schwedischer Handelsminister, 1947-57 Exekutivsekretär der UN-Wirtschaftskommission für Europa (ECE), 1967-73 Leitung des International Peace Research Institute (SIPRI) in Stockholm.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Seit der Schaffung des Wirtschaftsnobelpreises galten Gunnar Myrdal und Friedrich August von Hayek als Anwärter. Dass der Preis jedoch unter ihnen aufgeteilt wurde, muss erstaunen, existieren doch kaum Gemeinsamkeiten zwischen beiden. Deshalb kommentierte Hayek die gemeinsame Preisverleihung als »schlechten Witz«.
 
 Das Konjunkturphänomen
 
Eine Erklärung mag darin bestehen, dass zwei der Vertreter der Debatte um die systematische Deutung des Konjunkturphänomens geehrt werden sollten, die in den 1920er- und 1930er- Jahren eine Vielzahl bedeutender Ökonomen beschäftigte. Dieses Phänomen besteht darin, dass das langfristige Wachstum des Sozialprodukts von kurzfristigen Schwankungen verschiedener wirtschaftlicher Größen begleitet wird.
 
Hayeks Konjunkturerklärung gehört zur Gruppe der monetären Überinvestitionstheorien. Ihr Ausgangspunkt ist die Zunahme der Geldversorgung der Wirtschaft durch ein zusätzliches Kreditangebot der Banken wegen verbesserter Erwartungen aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung oder staatlicher Geldpolitik. Der Zinssatz dieser Kredite unterschreitet hierbei den so genannten natürlichen Zinssatz, bei dem sich das von den Banken erbrachte Kreditangebot und die zu seiner Finanzierung erforderliche Ersparnis entsprechen. Es kommt zu Investitionen in Produktionsmittel zur Herstellung von einzelnen Verbrauchsgütern, was wiederum zu Veränderungen bei der Nachfrage nach Verbrauchsgütern führt. Steigt sie, so müssen die Produktionskapazitäten durch weitere Investitionen und zusätzliche Arbeitskräfte ausgeweitet werden. Dies kann in der Regel nur durch weitere Bankkredite finanziert werden. Die zusätzlich beschäftigten Arbeitskräfte steigern die Nachfrage nach Verbrauchsgütern weiter. Dieser Prozess verstärkt sich selbst und findet ein Ende, wenn die Refinanzierungsfähigkeit der Banken ausgeschöpft ist und sie die Kreditvergabe einstellen. Bei Vollbeschäftigung müssen nun laufende Produktionsprozesse unterbrochen werden, um zumindest die kurzfristige Endnachfrage bedienen zu können. Weitere Investitionsgüter sind nicht mehr nötig und ihre Produktion wird eingestellt. In der Folge bricht der Produktionsprozess in sich zusammen. Aus dieser Konjunkturerklärung folgerte Hayek, dass Geld realwirtschaftlich einflusslos sein müsse. Allerdings änderte er hierzu mehrfach seine Meinung. So befürwortete er in seinem Werk »Verfassung der Freiheit« (1960) staatliche Geldpolitik, während er in »Entnationalisierung des Geldes« (1976) forderte, die Geldversorgung zu privatisieren und so den Preis- und Zinsmechanismus vor der Einflussnahme des Staates zu schützen.
 
Myrdals Theorie weist vielfache Parallelen zu den in der Nachkriegszeit einflussreichen Ideen von John Maynard Keynes auf. Sie basiert auf der Konzeption des monetären Gleichgewichts. Deren Grundgedanke ist die Untersuchung von Zuständen, bei denen es bei stabilen Preisen zu einer Übereinstimmung von auf Märkten nachgefragten und angebotenen Mengen kommt. Im Zentrum von Myrdals Theorie steht die Unterscheidung von zuvor nur wenig beachteten Ex-ante- und Ex-post-Zuständen. Hierbei werden geplante Handlungen und tatsächliche Ereignisse gesondert betrachtet. Die Planung findet zu Beginn einer Periode, also ex ante statt. Zu diesem Zeitpunkt existieren allenfalls unsichere Erwartungen über die Entwicklung des Wirtschaftsgeschehens. Eine Übereinstimmung von Planwerten ex ante mit statistisch ermittelten Daten am Ende der Periode, also ex post, wäre demzufolge rein zufällig.
 
Dieser Zusammenhang erhält eine besondere Bedeutung bei der Untersuchung von Gleichgewichten. In der Wirtschaftstheorie wird seit dem 19. Jahrhundert die statistische Gleichheit von der als »Investieren« bezeichneten Nachfrage nach Kapital und dem als »Sparen« bezeichneten Kapitalangebot als Basis für theoretische Schlüsse genutzt. Vor Myrdal wurde jedoch in der Regel nicht erkannt, dass diese Gleichheit lediglich ex post besteht, weil erst dann ermittelt werden kann, dass das Sozialprodukt einer Volkswirtschaft entweder für Verbrauch und Ersparnis oder für Verbrauch und Investitionen verwendet wurde. Die Gleichheit ex post ist aber laut Myrdal von untergeordnetem Interesse, weil ex ante eine ganz andere Verwendung geplant sein kann, als ex post realisiert wurde. Wichtiger ist die Untersuchung der Veränderungen innerhalb der Periode. Diese führte Myrdal vor allem auf Änderungen der in Geld gemessenen Preise zurück. Auch hiermit sind konjunkturelle Schwankungen erklärbar.
 
 Zwei Pole der Wirtschaftstheorie
 
Für Hayeks und Myrdals spätere Werke lassen sich nur insoweit Parallelen erkennen, als beide jenseits der vorherrschenden ökonomischen Theorien veröffentlichten. In den 1930er- und 1940er-Jahren war Myrdal aktiv in die schwedische Wirtschaftspolitik und kann als Vater des dortigen Wohlfahrtsstaats angesehen werden. Seine seitdem entstandenen Werke, die in engem Zusammenhang mit Arbeiten seiner Frau Alva, (Friedensnobelpreis 1982), stehen, zeichnen sich durch eine beeindruckende Fülle an Material und große analytische Kraft aus. Sie haben vor allem wirtschaftliche Probleme der auf dem Weltmarkt benachteiligten Entwicklungsländer zum Schwerpunkt. Dabei hob er hervor, dass sich ökonomische und nicht ökonomische Faktoren wechselseitig verstärken. Er sah die ungleiche Verteilung von Macht und Eigentum als ein Hindernis für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Gleichberechtigung. Deshalb setzte er sich für die bewusste Gestaltung von Institutionen zur Sicherung der Demokratie und für die Schaffung von Wohlfahrtsstaaten zur Förderung langfristigen Wachstums ein.
 
Ein solches verstandesgeleitetes Vorgehen wäre aus der Perspektive Hayeks ein »Weg zur Knechtschaft« (1944), weil es auf individuell nicht vorhandenen Informationen beruht. Wissen ist der Schlüssel zu Hayeks späteren Werken, die auf einzelne westliche Regierungen großen Einfluss ausübten. Aus Hayeks Sicht ist Wissen fragmentiert, jedes Individuum besitzt also nur eine kleine Teilmenge des in einer Gesellschaft vorhandenen Wissens. Erst durch Interaktion mit anderen Individuen, etwa durch den Handel von Gütern auf Märkten, wird dieses Wissen gesellschaftlich nutzbar. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass aufgrund des fehlenden Wissens einzelne Individuen keine Lenkungsgewalt über wirtschaftliche und gesellschaftliche Prozesse besitzen dürfen. Daher muss die Entwicklung wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Ordnungen spontan, also evolutorisch und unorganisiert verlaufen. Dem Staat kommt hierbei die Rolle zu, über Verfassungsregeln diesen Prozess zu sichern, dessen Vermachtung zu vermeiden und die Bevölkerung vor Verarmung und Rechtlosigkeit zu schützen. Damit besteht die einzige Gemeinsamkeit der Werke aus Hayeks und Myrdals zweiter Schaffensphase darin, dass sie zwei Pole jenseits der vorherrschenden Wirtschaftstheorie darstellen.
 
J. P. Schulz

Universal-Lexikon. 2012.

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